Die Wissenschaft Zuhause

(Fortsetzung)

     
         
 

Interviewerin: Professorin Carmen Cabezas Meyer (Leiterin vom Programm CINTALDE)

Editierte Version

Einführung:

Prof. Ing. Nèstor Ledesma, ein 96-jähriger  Agronomie-Ingenieur (Universität La Plata,Argentinien, 1936), ist ein weit bekannter Spezialist  auf dem Fachgebiet der landwirtschaftlich-forstlichen Klimatologie und Phänologie. Er war an mehreren Universitäten  Argentiniens tätig (La Plata, Tucumán, Córdoba, u.a.). Als Argentiniens-Vertreter nahm er  an der Weltkommission  für landwirtschaftliche Metereologie teil. Eine Umfangreiche Literatur verfasste er (über hundert Veröffentlichungen) und förderte auch die Gründung wichtiger hiesiger Institutionen  und Werken wie: Grenzdeichwerk Rio Hondo, Rio Dulce-Körperschaft, Forstfakultät, Institut IFIA (Forschungsinstitut), Universität Santiago del Estero (UNSE). Gegenwärtig ist Prof. Ing. Ledesma Vorsitzender der Akademie  für Wissenschaft und Kunst in Santiago del Estero, Argentinien.

   

 

Prof. C.C.Meyer:

Beruflich versuchten Sie immer eine Verbindung mit allen Ländern. Schon vor der Globalizationszeit  war Ihr Grundgedanke :”Weltwissenschaft Zuhause”. Was wäre der Verbindungspunkt  zwischen dieser Grundgedanke und das transdisziplinäre Konzept: ENTWICKLUNG?

 

Prof. Ing. Ledesma:

Wissenschaft war immer mein Ziel. Rund um das Jahr 1938 führten wir mit Hilfe von Herrn Prof. Julio Hirschhorn Genetikforschungen durch. Schwerpunkt war Reisgenetik. Später untersuchten wir über Reisphytotechnik und stellten zwei Reissorten  her. Das geschah schon lange her. Heutzutage bleibt eine dieser Sorten  als Hauptvarietät auf dem Markt.Charakteristisch für diese Reisvarietät  ist ihre Dauerhaftigkeit. Einmal gekocht, behält sie die Nahrungsmittelbedingungen bis zu zwei Tage lang, als wäre sie am Tag gekocht worden. Unsere Gruppe beschäftigte sich mit der landwirtschaftlichen Klimatologie. Prof. Ing. Burgos –Mitglied der Gruppe- wurde zum Vorsitzender der Weltkommission  für landwirtschaftliche Metereologie (GMAC). Bei der Weltkommission war ich Argentiniens-Vertreter. Den Winter-Kälteeinfluss als ENTWICKLUNGSFAKTOR wurde auch von uns- in Zusammenarbeit  mit den Universitäten Kalifornien, Südafrika und Australien- untersucht. Diese Forschungen kamen zu sehr praktischen Ergebnissen. Z.B.: Es wurde wissenschaftlich bewiesen, dass die Paranà-Delta-Region keine zur Herzpfirsichbaum-Kultur geeignete Lage war. Deshalb wurde Herzpfirsichbaum später in der Provinz Mendoza gezüchtet. Auch Apfelbaum, häufig in Dolores-Buenos Aires, nah vom Rio de La Plata-gezüchtet, wurde dann in Rio Negro –eine kältere Region- gezieht.In Santiago del Estero beschäftigte ich mich mit den klimatologisch-ökologischen Regionsbedingungen.Im Buch “Ökologische Geographie Santiago del Estero”-von mir verfasst- wird wissenschaftlich bewiesen, dass die verschiedenen Klimasorten südlicher Region Südamerikas- mit Ausnahme vom Patagonien- sich auf unsere Provinz konzentrieren. Die phänologische Harmonie  der Forstgemeinschaft  in der Zone Chaco-Santiago wurde auch erforscht.Man konnte erläutern, dass die erwähnte Region kein echter Wald ist, sie besitzt die dafür nötigen Bedingungen nicht . Vielmehr handelt es sich in diesem Falle fast um einen in xerophytischer Region bestehenden Urwald.Aus diesem Grund wurde das Ökosystem vom trockenen Chaco “Foresta Chaqueña”(Forstwald vom Chaco) genannt, d.h. es handelt sich um etwas einem Urwald nur ähnlich. Es ist aber kein Urwald. Diese Forschungsarbeit  wird bald veröffentlicht werden.

 

Prof. C.C.Meyer:

Das wäre für Sie ein Aspekt der Verbindung zwischen ENTWICKLUNG und Transdisziplinarität. . . .

 

Prof. Ing. Ledesma:

Wir sind der Meinung , dass dieses Thema der Politik Argentiniens eine Richtung weisen wird. Wald wurde nicht als Forschungsthema behandelt, vielmehr behandelte man das Thema  als wäre die ganze Vegetation  eine Wiese. In der Ökonomie Argentiniens  ist sie vielleicht funktionell eine Wiese., d.h. für Weizen- oder Sojakultur und Viehzucht (Fleisch und Milch). Das sind unsere Forschungen im heutigen Stadium.
Hauptthema des Buches “Geschichte der Universität Santiago del Estero”-von mir verfasst und in Kürze in Buchhandlungen erreichbar-ist die Wiederbeschaffung  der Universität, die als erste Universität Argentiniens ursprünglich in Santiago del Estero gegründet wurde. Später, im Jahre 1.613, wurde ihr Sitz nach Córdoba bewegt.

 

Prof. C.C. Meyer:

In dieser Hinsicht: Sie haben eine Phrase geschrieben: “Um den wirklichen Wert  Santiago del Estero zu verstehen. . .”. Glauben Sie, dass man noch heute die wahren Potentialitäten nicht kennt...?

 

Prof. Ing. Ledesma:

Man wird davon nicht bewusst. Ich glaube, dass Gott eine besondere Vorliebe auf diese Region legte. In jedem Kontinent gibt es um 30 Breitengrad immer Wüsten.Dagegen ist unsere Region ein sehr fruchtbares Ökosystem, sehr reich an pflanzliches, tierisches und mikrobenes Leben.In dieser Region besteht um 30 Breitengrad eine Zone -”El Impenetrable” genannt-, worin man wegen der Vegetationsdichte  nicht eindringen kann. Diese Region stellt eine Weltausnahme dar, diese Tatsache wird nicht verstanden. Die ganze Weltfachliteratur behauptet, um 30 Breitengrad sind es Wüsten. Diese Art von xerophytischem Urwald stellt wissenschaftlich eine Überraschung dar.

 

Prof. C.C.Meyer:

Nun ein anderer Aspekt Ihrer Tätigkeit. In den ´60er Jahren erreichte Priester Bernhard Niessen- in Köln (Deutschland)geboren und vielleicht der erste Rektor der Privatschule “San José”-, dass deutsche Professoren  für zwei Jahre in der Privatschule unterrichteten.Bei ihnen hatte ich intensiven Deutschunterricht und legte meine Prüfungen am Goethe-Institut Córdoba ab. Erst dann fing ich mein Deutschstudium an der Universität Córdoba. Zu dieser Zeit hatten Sie, als Dekan der Forstfakultät, eine Art von Kooperationsabkommen mit Deutschland. Könnten Sie uns über diese Zeit und die Ergebnisse erzählen?

 

Prof. Ing. Ledesma:

Glücklicherweise war Priester Niessen aus Deutschland in Santiago del Estero angekommen. Vor seiner Ankunft war er Pfarrer  in Bonn (ehemalige Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland). Er war mit dem damaligen Präsidenten Deutschlands sehr befreundet. Wir schlossen eine Art von “sui generis”-Abkommen zwischen der Forstfakultät und dem Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland. Aus diesem Grund wurde ich zu einem sechs monatigen Studienaufenthalt in Deutschland eingeladen. Leider musste ich die Einladung ablehnen, weil ein Dekan kein Student sondern ein Universitätspolitiker ist. Ausserdem war die Forstfakultät zu jung und meine Funktionen verlassen durfte ich nicht.Deshalb wurden die Geldmittel, um neuen Absolventen Stipendien zu erteilen. Drei Stipendiaten promovierten, sie machten das Doktorat für Naturwissnschaften. Nachher kehrten sie nach Santiago zurück und wurden als Universitätsprofessoren tätig.Ihr Studiumaufenthalt in Deutschland war für unsere Universität von grosser Nützlichkeit. So begannen wir unser Grundgedanke “Weltwissenschaft Zuhause” zu erfüllen.

 

Prof. C.C. Meyer:

Das Abkommen schloss auch Expertenaustausch ein. . .?

 

Prof. Ing. Ledesma:

Das Abkommen schloss Professoren-Austausch und wissenschaftliche Instrumentenausrichtung-Spende. Im besonderen  stellte Beratung von Professor Heinz Fischer -von fachmännisch hoher Fähigkeit und eine mit besonderen menschlichen Qualitäten Persönlichkeit-in der Fakultät eine ausserordentliche Nützlichkeit dar .
Auch Professor Wallen, ein jugoslawe und wirklich Forstwissenschaften-Meister, der an mehreren deutschen Universitäten Unterricht erteilt hatte,war an der hiesigen Forstfakultät tätig. In Santiago del Estero arbeitete er mit einer Professoren-Gruppe- ehemalig seine Studenten- zusammen.
Professor Uhrin, der auch nicht deutscher Angehörigkeit war -hatte aber sein ganzes Studium und seine berufliche Erfahrung in Deutschland gemacht- war uns fachmännisch eine grosse Hilfe.
Die Forstfakultät Santiago del Estero war damals in Argentinien die einzige.Professor Wallen und seine Gruppe  nahmen auch an der IFIA-Institut-Gründung teil. IFIA war ein wichtiges Institut , das unsere Ökosystemforschung als Schwerpunkt hatte. Hauptziel war, die Forschungsergebnisse auf die ÖKONOMIE und ENWICKLUNG anzuwenden. In dieser Hinsicht waren Deutschlandsbeiträge  sehr wichtig:ganz moderne Instrumentaleinrichtung.
Leider wurde diese grosse wissenschaftliche Mühe von den damaligen argentinischen Politikern nicht verstanden. Das Institut wurde -aus politischen Gründen-annulliert.Heutzutage kann man einige der Folgen erkennen: Die Ökosystemzerstörung hatte die Migration von armen Leuten zur Folge. Ihre so prekären Wohnungen sind im grossen Bezirk Buenos Aires (Conurbano) konzentriert. Diese Tatsache hat ein sehr grosses kritisches soziales Problem verursacht.

 

Prof. C.C.Meyer:

Nun ein anderes Thema: Die kulturellen Wechselbeziehungen der Völker.Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel behauptet, dass heutzutage ein Fachmann mindestens fünf Fremdsprachen beherrschen muss.Bezüglich der Konzepte ENTWICKLUNG, VIELFALT und INTEGRATION, was meinen Sie über Mehrsprachigkeit als Brücke zur Verbindung und zum gegenseitigen Verständnis der Völker?

 

Prof. Ing. Ledesma:

Herkömmlich lernen Kinder und Jugendliche in argentinischen Schulen Englisch. Französisch war bei uns im vorigen Jahrhundert wichtig als Wissenschaftssprache. Zur Zeit aber ist sie nicht mehr so wichtig. Uns war es klar, dass Länder,die sich mit tiefer Wiessenschaft beschäftigen- ausser England-,  Deutschland und Japan waren. Aus diesem Grund fingen wir zuerst  unsere Verbindungen  mit Deutschland zwecks eines Abkommens durch Vater Niessen.Da Fräulein Cabezas (d.h.: die Interviewerin, Prof. Cabezas Meyer) Deutsch mit grosser Begeisterung  lernte, wurde sie von uns mit der deutschen Botschaft in Verbindung gesetzt. Oft waren deutsche Professoren zu Besuch, um wissenschaftliche Vorträge auf Deutsch zu halten.Bei diesen Gelegenheiten war Fräulein Cabezas Simultan-Dolmetscherin. Es war eine Art von Simultan-Zusammenarbeit durch deutschen und argentinischen Professoren. Das war ja sehr befriedigend.Deutsche Sprache war für unsere Fakultät sehr wichtig. Fräulein Cabezas stellte eine ausserordentliche Hilfe dar.Gegenwärtig ist sie noch am Universitäts-Deutschlehrstuhl tätig.

 

Prof. C.C.Meyer:

Kanzlerin Angela Merkel beherrscht Russisch. . . .

 

Prof. Ing. Ledesma:

Die Tätigkeit der deutschen Professoren, der wichtigen deutschen Meister in Santiago del Estero, bestimmte die wissenschaftliche Orientierung unserer Fakultät.Nun versuchen wir, dass unsere Studenten sich mit der Ökosystem-Forschung unserer eigenen Region beschäftigen. Wir versuchen,dass sich an unserer landwirtschaftlich-forstlichen Gesellschaft, an unseren natürlichen Mitteln, am Umwelt und besonders an der Kultur interessieren. Heutzutage ist unser Schwerpunkt, dass unsere Jugendlichen vollständig Argentinier werden.

 

Prof. C.C. Meyer:

Würden Sie uns über Ihre gegenwärtigen Tätigkeiten erzählen?

 

Prof. Ing. Ledesma:

Ich bin emeritiert. Trotzdem habe ich ein paar Fächer gegründet.Z.B.: “Zeitgenössische Ökologieprobleme” und “Vorbereitung  für berufliche Ausübung”. An dem Fach bin ich tätig. Was die Forschungsarbeit betrifft, bereite ich eine Schriftenreihe, ungefähr dreissig kleine Bücher (auf der Grundlage meiner Forschungen und Arbeiten), die in Kürze veröffentlicht sein werden. Oder, wenn Gott es mir gestattet. Denn das ist mir klar: Wenn man schon lange gelebt hat, kann die Zukunft nicht  lange dauern. Deshalb arbeite ich, als würde ich immer leben. In irgendeinem Augenblick wird Gott diesen Lebensverlauf unterbrechen. So betrachte ich meine Zukunft.

 

Prof. C.C. Meyer:

Der Lebensschein Ihrer Augen und Ihre Sprechweise zeigen, dass Ihre Lebenszeit sehr lange dauern wird . . . Möchten Sie ein Nachdenken äussern, an Jugendlichen und Studenten gerichtet?

 

Prof. Ing. Ledesma:

Ich werde von Studenten nicht leicht verstanden. Sie glauben , dass eigentliche Wissenschaft heisst, nur über ganz feine Wissenschaft zu forschen.Z.B.: Forschung in grossen Astronomielabors oder über tiefe Kernchemie.Sie sind darüber nicht im klaren, dass Wissenschaft sich mit Bescheidenheit entwickelt. Der reine Wissenschaftler erkennt seine für ein bestimmtes Thema Unfähigkeit an. Dann untersucht er über das Thema. Meistens handelt es sich um vom Alltagsleben gewöhnlichen Themen. Wir müssen über unmittelbaren alltäglichen Phänomenen Forschungen treiben,allmählich tiefer unsere eigene Umwelt untersuchen und auf diese Weise unsere eigene Geschichte erzeugen.Diese Tatsache wird von Studenten nicht begriffen.Argentinien soll   mit der ganzen Potentialität, mit dem wirklichen Reichtum zur Welt beitragen.Das ist mein gegenwärtiger Blick und mein Ziel an der Universität.

 

Prof. C.C.Meyer:

Charakteristisch für Sie sind wahre Menschlichkeit, Intelligenz und sehr grosse Fähigkeit, sowohl auf regionellen als auch auf Welt-Umgebungen zu wirken.Für dieses Interview -wirklich eine Ehre-bedanken wir uns bei Ihnen.

 

Prof. Ing. Ledesma:

Danke sehr.

 
 
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